Vattenfall den Stecker ziehen

Schluss mit Abzocke und Stromsperren: Knapp 24.000 Unterschriften sind für das Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung gesammelt worden, 200.000 müssen es bis Anfang Juni werden. Dabei können auch Menschen aus anderen Städten helfen. Von Michael Efler

Steigende Armut: Vattenfall stellte im Jahr 2012 ca. 20.000 Berliner Haushalten den Strom ab (Foto: Frank Eßers)

In Berlin findet zur Zeit eine heftige politische Auseinandersetzung mit dem Energiekonzern Vattenfall statt. Mit den Mitteln der direkten Demokratie wird versucht, Vattenfall den Betrieb des Berliner Stromnetzes wieder abzunehmen sowie ein sozial-ökologisches Stadtwerk durchzusetzen. Für das Volksbegehren »Neue Energie für Berlin« des Berliner Energietisches, das am 11. Februar gestartet ist, müssen bis zum 10. Juni ca. 200.000 Berlinerinnen und Berliner unterschreiben. Dann kommt es zu einem Volksentscheid über die sozialökologische Energiewende in der Hauptstadt.

Bereits 2010 fanden Attac, Powershift und BürgerBegehren Klimaschutz zusammen, um über die Zukunft der Berliner Energieversorgung zu beraten. Diese Gespräche mündeten 2011 in die Gründung des Berliner Energietisches, einem offen und parteiunabhängigen Bündnis, dem inzwischen über 50 Organisationen angehören. Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, die Berliner Energieversorgung ökologischer, sozialer und demokratischer zu gestalten. Den Schlüssel dazu sehen wir in der Rekommunalisierung. Dazu wurde ein Gesetzentwurf ausgearbeitet und im März 2012 das Volksbegehren »Neue Energie für Berlin« gestartet.

Im Juli 2012 hat der Energietisch die erste Stufe des Volksbegehrens abgeschlossen mit ca. 40.000 Unterschriften. Die darauffolgende politische Diskussion hat jedoch keine nennenswerten Ergebnisse hervorgebracht. Der Senat lehnte den vom Energietisch vorgelegten Gesetzesentwurf ab. Lediglich die Koalitionsfraktion aus SPD und CDU legten einen inhaltlich ungenügenden Gesetzentwurf vor. So blieb uns nichts anderes übrig als in die zweite Stufe zu gehen. Vom 11. Februar bis zum 10. Juni müssen nun 200.000 Unterschriften gesammelt werden, um einen Volksentscheid zur Bundestagswahl zu ermöglichen.

Ziele des Volksbegehrens

Konkret wollen wir Folgendes erreichen: Ein neues Berliner Stadtwerk erzeugt und verkauft ausschließlich dezentral erzeugte erneuerbare Energie aus der Region Berlin-Brandenburg. Ziel ist es, Berlin mit 100 Prozent echtem Ökostrom zu versorgen. Kohle- und Atomstrom werden generell ausgeschlossen. Lediglich hocheffiziente dezentrale KWK-Anlagen dürfen zusätzlich während des Übergangszeitraumes eingesetzt werden. Diese Anlagen sollen zu einem größtmöglichen Anteil mit nachhaltig erzeugten, erneuerbaren Energieträgern betrieben werden. Energie aus Biomasse darf nicht die Produktion von Nahrungsmitteln verdrängen.

Der Energietisch fordert weiterhin eine sozialverträgliche Energiewende. Der Zugang zu Energie ist für uns ein Grundrecht. Wir wollen der stetig wachsenden Energiearmut entgegenwirken. Unser Stadtwerk soll auf Stromsperren, wie sie in Berlin durch Vattenfall im Jahr 2012 in fast 20.000 Fällen vorgekommen sind, verzichten. Weiterhin sollen einkommensschwache Haushalte gezielt beraten sowie die Anschaffung energiesparender Haushaltsgeräte gefördert werden. Zudem soll das Stadtwerk für eine sozialverträgliche energetische Gebäudesanierung sorgen. Die dadurch erreichten Energieeinsparungen und die verbesserte Energieeffizienz leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Das Stadtwerk kann dies gezielt unterstützen und sorgt so für eine niedrigere Energierechnung. Weiterhin streben wir eine soziale Tarifgestaltung durch das Stadtwerk an, in dem ein Grundbedarf an Energie verbilligt abgegeben wird.

Die Beteiligung der BürgerInnen ist eines der Kernanliegen des Berliner Energietisches. Sie sollen die Energieversorgung demokratisch mitgestalten. Daher sind sowohl die Direktwahl von Teilen des 15-köpfigen Verwaltungsrates als auch weitgehende Mitbestimmmungsrechte wie z.B ein Initiativrecht an den Verwaltungsrat vorgesehen. Durch regelmäßig stattfindende Versammlungen soll den EinwohnerInnen Berlins die Möglichkeit gegeben werden, Angelegenheiten des Stadtwerks und der Netzgesellschaft zu erörtern. Durch diese Beteiligungsmöglichkeiten werden Entscheidungsfehler viel schneller aufgegriffen und nicht endlos von den politischen Akteuren ignoriert. Für Stadtwerk und Netzgesellschaft gelten des Weiteren klare Transparenzvorgaben in Bezug auf den Zugang und der Veröffentlichung von Dokumenten. Das Motto lautet demnach: Transparenz statt Geheimverträge.

Aber auch die Stromnetze sind ein wichtiger Schlüssel der Energiewende. Sie genügen derzeit einer erneuerbaren Zukunft nicht. Die neue, Berlin-eigene Netzgesellschaft soll diesen Aufbau von intelligenten Netzen im Rahmen der Möglichkeiten schnellst möglichst vorantreiben.

Die Beschäftigen, die jetzt bei Vattenfall arbeiten, sollen keine Verlierer der Rekommunalisierung sein. Deshalb wird allen Vattenfall-Mitarbeitern auch eine Beschäftigung bei der neuen Berliner Netzgesellschaft angeboten. Alle Beschäftigungsverhältnisse sowie Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen werden übernommen.

Das Berliner Stadtwerk soll sich an den Interessen der BürgerInnen und nicht an einer Profitmaximierung orientieren. So bleibt auch das erwirtschaftete Geld in Berlin. Auch durch den Rückkauf der Netze können langfristig Einnahmen gesichert werden, die in die soziale und ökologische Infrastruktur Berlins reinvestiert werden können.

Wenn wir in Berlin diesen Volksentscheid durchsetzen, wird dies bundespolitische Auswirkungen haben. Denn in Hamburg wird es am Tag der Bundestagswahl definitiv einen Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze geben. Damit würden die beiden größten deutschen Städte über die Rekommunalisierung der Energieversorgung abstimmen. Dies dürfte Rückwirkungen auf den Bundestagswahlkampf haben und auch die Bedingungen für weitergehende politische Forderungen wie z.B. die Vergesellschaftung der Energiekonzerne verbessern.

Aktionscamp im Mai

Damit dies aber alles überhaupt etwas werden kann, müssen wir in Berlin das Volksbegehren zustandebringen. Dafür benötigt der Berliner Energietisch breite Unterstützung, auch von außerhalb Berlins.

Vom 10.5. bis 29.5. organisieren wir ein Aktionscamp, bei dem Aktive aus ganz Deutschland zusammenkommen und uns bei der Unterschriftensammlung unterstützen. Die Unterbringung erfolgt in einem alternativen Kulturzentrum. Ökologisch-vegetarische Verpflegung (Halbpension) sowie Fahrtkosten bis max. 75 Euro werden übernommen.

Wer nur vorher oder nachher kann, ist aber auch herzlich eingeladen. Für diesen Fall organisieren wir private Unterkunft und übernehmen die Fahrtkosten. Also: Kommt nach Berlin

Alle Informationen zum Berliner Energietisch und zum Volksbegehren findet ihr unter www.berliner-energietisch.net. Wer sich eine Teilnahme am Aktionscamp vorstellen kann, wendet sich an camp [ät] berliner-energietisch.net

Zum Autor:
Michael Efler ist Vertrauensperson des Volksbegehrens

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