Atomausstieg durch Abwahl von Schwarz-Gelb?



Die Wut über die Atompolitik der Regierung wächst. Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr sind Massen gegen Atomkraft auf die Straße gegangen. Über Stärken und Schwächen des Protestes schreiben Pickelhering und Yaak Pabst.

120.000 Menschen waren im April 2010 bei der Menschenkette zwischen den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel. Am vergangenen Samstag protestierten 100.000 in Berlin – doppelt so viele wie bei der großen Anti-Atom-Demo vor einem Jahr.

Das Revival der Anti-Atom-Bewegung hatte sich bereits Ende 2008 bei den Castor-Blockaden angekündigt. Seitdem ist die Bewegung nicht nur aktiver, sondern auch breiter geworden: Von Anti-AKW-Gruppen und Umweltorganisationen über Globalisierungskritiker, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, kirchlichen Gruppen bis zu den Parteien SPD, Grüne und DIE LINKE. Nicht wenige der Protestierenden sind im April und auch am Samstag zum ersten Mal in ihrem Leben oder seit langem wieder auf einer Demonstration gewesen.

Der Kreis der Anti-Atom-Gegnerinnen und -gegner, der aktiv mobilisiert, hat sich in den letzten Monaten vergrößert. Viele sind in keiner Partei oder Gruppe organisiert und nutzten das von Anti-AKW-Gruppen erstellte Material, um aus eigener Initiative Aktionen in ihrer Stadt zu gestalten.

Wut über die Regierung der Konzerne

Im Unterschied zur Menschenkette im April war auf der Umzingelung des Regierungsviertels am 18. September eine andere Stimmung spürbar: Die Wut über Schwarz-Gelb ist gewachsen. Dass die Regierungskoalition trotz zahlreicher Proteste seit der letzten Bundestagswahl beschlossen hat, die Laufzeiten der AKWs zu verlängern, hat nicht zu Resignation geführt. Im Gegenteil: Gerade deswegen sind viele auf die Straße gegangen. Für Empörung sorgt, dass Schwarz-Gelb mit verlängerten Laufzeiten den Atomkonzernen zusätzliche Milliardenprofite ermöglicht. Dagegen sind die schwachen Rechtfertigungsversuche der Regierung a la »Auch wir wollen erneuerbare Energien, aber leider ist Atomkraft noch notwendig« verpufft.

Hilfreich für Schwarz-Gelb ist es auch nicht, dass Koalitionsvertreter die Demonstrierenden als Minderheit diffamierten. CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich zum Beispiel behauptete, Union und FDP hätten die Bundestagswahl mit der klaren Ansage gewonnen, die Laufzeiten zu verlängern.

Bei den Demonstrierenden ist dadurch das Gefühl entstanden, dass die Regierung an der Realität nicht einmal als Gast teilnimmt. Dabei reicht der Unmut über die Atompolitik auch weit hinein in die Wählerschaft der Unionsparteien.

Befeuert wird die Entfremdung der Bevölkerung von Schwarz-Gelb durch weitere gesellschaftliche Konflikte wie dem um das unsoziale »Sparpaket« oder das Großprojekt »Stuttgart 21«. Zeitgleich mit dem Protest in Berlin protestierten in Stuttgart 30.000 gegen den Umbau des dortigen Bahnhofes – und ließen ein Grußwort auf der Anti-Atom-Demo verlesen.

Von roten und grünen Fahnen

Auf der Umzingelung des Regierungsviertels am 18. September dominierten natürlich Anti-Atomfahnen. Doch ebenso unübersehbar waren die Massen an Fahnen von SPD und Grünen. Schon seit geraumer Zeit versuchen beide Parteien, das durch die Regierungszeit von 1998-2005 verlorene Vertrauen in der Bevölkerung und der Anti-Atom-Bewegung zurückzugewinnen. Beide Parteien mobilisieren zu Anti-Atom-Aktionen. Das ist begrüßenswert, denn dadurch hat sich die Zahl der Demonstrationsteilnehmer erhöht. Und es ist nun möglich, intensivere Debatten mit den Anhängern von SPD und Grünen zu führen, wie ein wirklicher Ausstieg aus der Atomenergie erreicht werden kann.

Für die SPD hat das Parteichef Sigmar Gabriel auf der Demo am vergangenen Samstag formuliert: Die Partei werde Anti-Atom zum Wahlkampfthema machen. Bei den Bundestagswahlen 2013, so der Kern seines Statements, könnte der Wahlzettel zum Denkzettel für Schwarz-Gelb werden. Gabriel hat dabei die aktuellen Meinungsumfragen im Kopf, in denen Rot-Grün vor Schwarz-Gelb liegt. Grünen-Chef Cem Özdemir sieht die weitere Perspektive in einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, »wenn die Koalition ihre Atompläne am Bundesrat vorbei beschließen wolle.«

Wahlzettel = Denkzettel?

Sowohl die Perspektive einer Abwahl von Schwarz-Gelb als auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht bergen Risiken. Die Anti-Atom-Bewegung kann nicht darauf vertrauen, dass ein Gericht ihre Ziele unterstützt. Auch das Verlassen auf eine linke Regierung ist schon einmal schief gegangen: Unter der rot-grünen Koalition sind die Castor-Atommülltransporte gerollt und wurden mit Polizeigewalt durchgesetzt.

Der von SPD und Grünen damals im Konsens mit den Energiekonzernen beschlossene »Atomausstieg« hatte diesen Namen nie verdient. Er ist im Kern eine Garantie für die Konzerne, ihre AKWs lange Zeit weiterbetreiben zu dürfen. Der rot-grüne Atomkompromiss ermöglichte die Übertragbarkeit der Stromkontingente von alten auf neue, aber auch von neuen auf alte AKWs. Eine weitere Verzögerung des endgültigen Abschaltens von Kernkraftwerken ergibt sich daraus, dass kein fester Zeitpunkt dafür verabredet wurde, sondern nur Restrommengen. Wird ein AKW wegen Störungen oder Reperaturen abgeschaltet oder heruntergefahren, dann produziert das Kraftwerk keinen oder weniger Strom. In anderen Worten: Die dem AKW erlaubte Resttrommenge geht langsamer zur Neige, das heißt: Der Zeitpunkt des endgültigen Abschaltens verzögert sich.

Entscheidender als Wahlen ist massenhafter und entschlossener Druck von unten. Ihre größten Erfolge hatte die Anti-Atom-Bewegung vor der rot-grünen Regierungszeit – auf der Straße.

Atomausstieg selber machen

Die ersten erfolgreichen Aktionen der Anti-Atombewegung gab es 1975. Damals wurde durch massenhaften Widerstand der Bevölkerung in der badischen Gemeinde Wyhl, der Bau eines Kernkraftwerkes verhindert. Der Bauplatz wurde am 18. Februar 1975, dem Tag nach Beginn der Bauarbeiten, von Atomkraftgegnerinen und -gegnern besetzt. Zwar räumte die Polizei den Platz, aber nach einer Kundgebung am 23. Februar kam es zu einer zweiten Besetzung, die über acht Monate andauern sollte.

Massenhafter, zäher außerparlamentarischer Widerstand hat auch dafür gesorgt, dass der Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf 1989 eingestellt wurde.

In der aktuellen Mobilisierungszeitung »Castor schottern« schreibt das Bündnis in einer Rückschau auf die Bewegung: »In der BRD wird der Bau von rund 25 AKWs verhindert, für die bereits Bauanträge eingereicht waren. Vom nuklearen Entsorgungspark Gorleben ist heute nur ein nicht fertiggestelltes Endlager und ein Zwischenlager übrig geblieben. Für jedes AKW, das in der BRD gebaut wurde, konnte eines verhindert werden, und kein Atombefürworter hätte 1977 bei der Benennung Gorlebens als Endlagerstandort gedacht, dass 33 Jahre danach nicht einmal die Erkundung des Salzstockes abgeschlossen ist.«

Gewerkschaften, DIE LINKE und Anti-Atom

Die Erfahrungen mit dem rot-grünen Atomkompromiss machen deutlich, dass man einen Atomausstieg nicht mit den Konzernen verhandeln, sondern nur gegen sie durchsetzten kann. Deswegen ist es erfreulich, dass auch die Gewerkschaften sich an den Protesten gegen Atomkraft beteiligen, denn diese vertreten Millionen Mitglieder. Zudem sind sie die einzige Kraft, die ökonomischen Druck auf Unternehmen und Regierung ausüben kann. Verschiedene Gewerkschaften haben zur Demonstration am 18. September aufgerufen, die IG Metall stellte sogar einen Redner. Doch die gewerkschaftliche Beteiligung an der Mobilisierung blieb weit hinter den Möglichkeiten zurück. Auf der Demonstration waren nur kleine Delegationen der Gewerkschaften zu sehen. Dabei gibt viele Mitglieder, die gegen Atomkraft sind. Die Gewerkschaftsführungen könnten viel mehr Menschen zu den Protesten mobilisieren.

Letzteres gilt auch für DIE LINKE, die seit geraumer Zeit Teil der Anti-Atom-Proteste ist. Auf der Demo am vergangenen Samstag war die Partei mit einem Infostand und einem Block auf dem Protestzug vertreten. Auch Vertreterinnen und Vertreter der Linksfraktion im Bundestag und der Parteiführung waren vor Ort. Allerdings beteiligten sich zu wenige Mitglieder, um die Partei in diesem Massenprotest sichtbar zu machen. In den nächsten Monaten bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, um die Mobilisierung auszubauen.

Castor stoppen und weitere Aktionen

Über den weiteren Fahrplan der Anti-AKW-Bewegung schreibt das Bündnis der Anti-Atom-Demo vom 18. September auf seiner Webseite: »Es wird in den nächsten Wochen zahlreiche örtliche, regionale und landesweite Aktionen geben. So am 29. September in Salzgitter, am 6. Oktober in Stuttgart und am 9. Oktober in München. Unmittelbar vor der geplanten Verabschiedung der geplanten Atomgesetz-Novelle findet am 23. Oktober die nächste bundesweite Aktion statt, der Castor-Strecken-Aktionstag: Die Atomtransporte verbinden uns alle und jeder kann in der Nähe seines Wohnortes ein Zeichen setzen. Anfang November sollen dann wieder Castoren nach Gorleben rollen. Ein breites Bündnis ruft auf, noch bevor der Castor kommt, mit Kind und Kegel in Dannenberg zu demonstrieren. Das wird nach Lage der Dinge am 6. November sein, wenn gleichzeitig eine Großveranstaltung des DGB in Hannover stattfindet. Beide Aktionen werden kooperieren, nicht konkurieren, ein RednerInnen-Austausch ist abgesprochen. Und auch wenn die Castoren dann rollen, werden mehr Menschen im Wendland sein als jemals zuvor. Erstmals findet z.B. aus der Atomülllager-Region rund um Braunschweig (Morsleben (ERAM), Schacht Konrad, Asse II) ein gemeinsamer Treck ins Wendland und ein gemeinsames Camp statt. In Rheinland-Pfalz finden einige Anti-Atom-Montagsspaziergänge statt und weitere sind geplant.«

Bundesweiter Schwerpunkt werden die Proteste gegen den Castor-Atommüll-Transport im November sein, die das Ziel haben, den Transport zu stoppen. Darüber informieren unter anderen die entsprechende Bündnisseite www.castor2010.de und die Aktionskampagne »Castor schottern«.

(Der Artikel ist zuerst erschienen auf http://www.marx21.de/)

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