Schon jetzt werden die vollmundigen Versprechen aus der Schlichtung zu Stuttgart 21 zurückgenommen und gebrochen. Wo die Probleme beim Schlichterspruch liegen, darüber hat Pickelhering mit Werner Sauerborn gesprochen. Er ist Mitinitiator von »GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21«.

Pickelhering: Heiner Geißler hat Vorschläge für Nachbesserungen des Bahn- und Immobilienprojektes Stuttgart 21 gemacht. Bist du als Mitinitiator von »Gewerkschafter gegen Stuttgart 21« zufrieden mit der Schlichtung?
Werner Sauerborn: Mit der Schlichtung sehr, mit dem Spruch natürlich überhaupt nicht. Über alle acht Runden haben wir gepunktet. Die Bahn konnte kaum eine Leistungssteigerung ihres Projekts gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof und seinen Reserven darstellen, geschweige denn gegenüber dem von uns vorgeschlagenen ertüchtigten Kopfbahnhof.
Der Schlichtungsspruch, Stuttgart 21 mit Auflagen, stellt eine politisch willkürliche Verdrehung der Ergebnisse dar. Ein Verfahren, bei dem die Bürger die klar besseren Argumente haben, aber dann nicht Recht bekommen, ist das Gegenteil von einem neuen Demokratiemodell.

Wo liegen die Probleme beim Schlichtungsergebnis?
Würden die von Geißler der Bahn auferlegten »Hausaufgaben« wirklich harte Bedingungen sein, wäre das Projekt wohl tot, weil die Kosten um eine weitere Milliarde steigen würden, der Stresstest viele weitere Defizite aufdecken und die Stiftung für den neuen Stadtteil, wenn sie ernst gemeint wäre, den Spekulanten in Bauwirtschaft und Banken die Lust an der Spekulation nehmen würde. Aber das ganze ist eher eine PR-Nummer. Schon jetzt werden die vollmundigen Versprechen aus der Schlichtung zurückgenommen und gebrochen.

Einen fortgesetzten Baustopp, die logische Konsequenz aus all den Auflagen und Ungereimtheiten, lehnt die Bahn ab, sie wird versuchen weiter Fakten zu schaffen und damit neue Erpressungspotentiale aufbauen, um die Bedingungen dann locker übergehen zu können.

Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen: Statt sofort als absehbar war, wohin Geißler will, wieder in die Mobilisierung und in die Opposition zum Schlichtungsspruch zu gehen, sind wir erstmal auf Tauchstation gegangen, haben der Gegenseite die Deutungshoheit überlassen und zugelassen, dass sich eine große Verunsicherung breit machte. »Wir« ist in diesem Fall weniger das Aktionsbündnis, dem wir als Gewerkschaftergruppe auch angehören, als dessen grüne Mehrheit.

War die Schlichtung eine Finte, um die baden-württembergische CDU zu retten, wie das Magazin »Der Spiegel« meint?
Auf jeden Fall war das eine Reinwäsche für Mappus, der mit der Provokationspolitik des schwarzen Donnerstag in eine Sackgasse geraten war. Da ist er jetzt erstmal raus. Vor allem hat Geißler, ein Schwarz - Grün -Fan, versucht einen großen Stein auf dem Weg zu einer Koalition CDU und Grüne aus dem Weg zu räumen. Der Schlichterspruch als Vorlage für die Passage zu S 21 in einem schwarz-grünen Koalitionsvertrag! Bis jetzt, muss man allerdings anerkennen, sind die Grünen noch nicht auf diese Leimrute gelaufen.

Wie sollten die Gegner von Stuttgart 21 deiner Meinung nach reagieren? Stehen sie jetzt nicht als Demokratieverweigerer da, wenn sie erneut demonstrieren?
Der Schlichterspruch war von vornherein nicht als Schiedsrichterspruch gedacht, das hat Geißler erst daraus gemacht, sondern als Faktencheck, den wir mit Bestnote bestanden haben. Das Willkürurteil, das er dann daraus gemacht hat, bindet uns natürlich weder juristisch noch moralisch.

Und wie geht es weiter?
Das Projekt steckt so voller Widersprüche, dass es immer noch an sich selbst scheitern kann bzw. dass wir es an seinen Widersprüchen zu Fall bringen. Das setzt aber voraus, dass wir jetzt schnell wieder in die Offensive kommen. Und das trau ich dieser Bewegung, so tief verwurzelt sie in fast allen gesellschaftlichen Bereichen ist, allemal zu.

Zur Person:
Werner Sauerborn ist Mitinitiator von »Gewerkschafter gegen Stuttgart 21« und Mitglied des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21.

Zum Artikel:
Das Interview hat Pickelhering für marx21.de geführt.
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